Die erschütternde Bilanz vom Sonntag, 10. April: Nach dem Spiel FC Zürich–GC wurde ein Fan bei einer Schlägerei schwer verletzt. Und vor dem Spiel YB–Basel marschierten die Fans durch Bern. Ein grosses Polizeiaufgebot verhinderte ein Aufeinandertreffen der Fangruppen von YB und FCB.
Eine Woche zuvor besuchen fünf K-Tipp-Redaktoren in London das Spiel Arsenal London gegen Blackburn Rovers. Ein Spiel voller Emotionen – die Entscheidung in der englischen Meisterschaft steht kurz bevor.
Trotzdem herrscht vor dem Spiel rund um das Arsenal-Stadion eine entspannte Atmosphäre: Die Fans – darunter auch ältere Leute und Familien mit Kindern – schlendern entspannt zu den Eingängen. Die meisten Anhänger des Gästeteams reisen organisiert an und werden getrennt zu ihrem Sektor gebracht.
Keine Taschenkontrolle und kaum Polizei
Um Stadion und Spielfeld gibt es keine Absperrgitter, wie man sie aus der Schweiz kennt. Die K-Tipp-Redaktoren müssen beim Eingang ihre Tickets nur in ein Lesegerät stecken – und schon sind sie im topmodernen Emirates-Stadion.
Es gibt weder eine Taschenkontrolle noch eine Leibesvisitation. Im Stadion wird Wein und Bier ausgeschenkt. Das sichtbare Polizeiaufgebot rund ums Stadion beschränkt sich auf zwei berittene Beamte, die zwischen den Fans herumstreifen.
Das Spiel ist mit 60 000 Zuschauern restlos ausverkauft. Die Stimmung im Emirates-Stadion ist gut und laut, aber nicht aggressiv. Zwischen den Fans von Arsenal und Blackburn gibt es keine Abschrankungen.
Friedfertige Fans auch nach verlorenem Spiel
Der Match verläuft mit dem 0:0-Unentschieden für die heimischen Arsenal-Fans frustrierend. Blackburn-Anhänger foppen nach Spielschluss den gegnerischen Anhang mit «Thank you» und «Goodbye». Und die Arsenal-Fans antworten mit lauten Sprechchören.
Das von Arsenal gestellte Sicherheitspersonal steht zwischen den beiden Parteien – bereit, im Notfall einzugreifen, was aber an diesem Nachmittag nicht nötig ist: Beide Fangruppen verlassen das Stadion gröhlend, aber geordnet.
Sie verteilen sich in wenigen Minuten in den benachbarten Pubs oder verschwinden in den U-Bahn-Stationen.
Lehren aus der Heysel-Katastrophe
Noch in den Achtzigerjahren brauchte es in England Hunderte von Polizisten in und ausserhalb der Stadien, um bei Fussballspielen für Ordnung zu sorgen. Trotzdem waren Schlägereien vor, während und nach den Spielen an der Tagesordnung.
Die englischen Fussball-Hooligans waren auch im Ausland für ihre Gewaltbereitschaft berüchtigt: 1985 stürmten sie bei einem Europacup-Spiel im Brüsseler Heysel-Stadion einen neutralen Sektor: 39 Menschen starben beim Versuch zu fliehen, rund 450 wurden verletzt.
Alle englischen Klubs wurden für fünf Jahre von allen europäischen Wettbewerben ausgeschlossen. Und heute? «Mittlerweile verlaufen 70 Prozent aller Fussballspiele in England und Wales in den Profi-Ligen ohne Zwischenfälle oder Verhaftungen.
Fast die Hälfte aller Spiele der Profis kommen mittlerweile sogar ohne Polizeipräsenz aus», sagt ein Sprecher des britischen Innenministeriums auf Anfrage des K-Tipp. Zum Vergleich: Pro Spiel der höchsten Schweizer Fussballliga stehen im Schnitt rund 100 Polizisten im Einsatz.
Matchverbot für Rowdies in England
Basis für den Stimmungswechsel in England ist das Hooligan-Gesetz (siehe Interview unten). Es ermöglicht eine schnelle Reaktion auf gewalttätige Fans.
Aktuelles Beispiel: Die beiden Arsenal-Fans Ashley Munt (26) und Stephen Ansell (53) wurden verhaftet, nachdem sie am 25. Januar nach dem Spiel Arsenal – Ipswich einen Passanten verprügelt hatten. Bereits zwei Wochen später sprach ein Richter eine sogenannte «Banning Order» aus.
Dies bedeutet für die nächsten drei Jahre:
- Besuchsverbot für alle Fussballspiele in England, Schottland, Wales und Nordirland.
- Bei Arsenal-Spielen und Spielen der englischen Nationalmannschaft müssen sich die «verbannten» Arsenal-Fans drei Stunden vor und nach dem Match mindestens zwei Kilometer vom Stadion entfernt aufhalten. In dieser Zeit dürfen sie auch keine Züge und U-Bahnen benützen.
- Vor einem Auswärtsspiel der Nationalmannschaft müssen sie ihre Reisepässe bei der Polizei abgeben.
In der Schweiz liegt es an den Fussballvereinen, Stadionsperren auszusprechen. Davon machen die Klubs aber nur selten Gebrauch: In der vorletzten Saison gab es in der obersten Liga pro Klub zwischen 10 und 90 Stadionverbote.
Und was unternimmt der Schweizerische Fussballverband (SFV)? Er hat es nicht eilig. Konkrete Massnahmen wie die Verknüpfung des Ticketverkaufs an das Vorweisen eines Ausweises – wie das in England Pflicht ist – seien noch nicht spruchreif.
SFV-Sprecher Marco von Ah meint nur: «Verband, Klubs und Liga sind sehr engagiert, Personen, die gegen die Stadionordnung verstossen, zu identifizieren und mit Stadionverboten zu belegen.
Roger Schneeberger, Generalsekretär der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren, sieht in der Schweiz die Notwendigkeit, endlich gegen die Missstände in den Fussballstadien vorzugehen:
«Unser Ziel muss sein, die Gewalttäter zu identifizieren und sie dann mittels Stadion-, Rayonverboten und Meldeauflagen vom Sport fernzuhalten. Dann kommen Sportveranstaltungen auch bei uns ohne Polizeipräsenz aus.»
«Erst nach Katastrophen haben wir reagiert»
Tony Conniford ist Vizedirektor einer speziellen Polizeieinheit in England. Er beschäftigt sich gezielt mit Fussball-Gewalt. Der K-Tipp fragte ihn nach dem Rezept gegen Fan-Gewalt.
England hatte früher grosse Probleme mit gewalttätigen Fussball-Fans. Wodurch hat sich die Situation verbessert?
Tony Conniford: Regierung, Fussballverantwortliche, Polizei und Fans arbeiten zusammen und sind Partner. Und zudem: professionelles Training von Sicherheitskräften und nur noch Sitzplätze sowie hochauflösende Überwachungskameras in den Stadien.
Wie lange hat es gedauert, bis diese Massnahmen griffen?
Conniford: Das Hooligan-Problem existiert in England seit über 100 Jahren. Reagiert haben wir aber erst, als es zu Katastrophen kam: 1985 starben im Heysel-Stadion in Brüssel 39 Personen bei einem Europacup-Spiel mit englischer Beteiligung. 1989 kam es im Stadion von Sheffield zu einer Panik, bei der 96 Menschen starben. Erst nachdem englische Hooligans an der Europameisterschaft 2000 gewütet hatten, ordnete die britische Regierung gezielt Sperren für Fussballrowdies an, sogenannte Banning Orders.
Rund 3000 Personen waren im vergangenen Jahr durch «Banning Orders» von Fussballspielen verbannt. Wie können Sie garantieren, dass diese Leute nicht doch in die Stadien gelangen?
Conniford: Die Polizei gibt Personaldaten von Leuten mit «Banning Orders» an Fussball- und Klubverantwortliche weiter. Dies verhindert, dass sie überhaupt eine Eintrittskarte kaufen können, weil dabei ein Ausweis vorgelegt werden muss. Leute, die gegen die «Banning Order»-Auflagen verstossen, riskieren zudem bis zu sechs Monate Gefängnis und eine Busse von bis zu 7500 Franken.